
Videointerview mit Madeleine Mickeleit, Geschäftsführerin, IIot Use Case
- On 27. Mai 2021
Videointerview | mit Madeleine Mickeleit, Geschäftsführerin | IIot Use Case
Hi Madeleine, schön dass du da bist! Wir sprechen heute über das Thema „IoT Geschäftsmodelle“. Du bist quasi prädestiniert für dieses Thema, denn du bist Gründerin und Geschäftsführerin von IIoT Use Case. Das ist eine Innovationsplattform, die Anwender und Anbieter im industrielleren Umfeld vernetzt, um durch Praxisbeispiele die Relevanz eigener Projekte zu steigern. Du selbst bist Maschinenbauerin, das heißt, du hast auch persönlichen einen super Hintergrund. In eurem Podcast und auf der Website präsentiert ihr viele spannende Use Cases, deshalb bin ich sehr froh, dass du dir heute Zeit für dieses Interview genommen hast.
Meine erste Frage an dich wäre:
Frage 1: Reicht ein Use Case aus, um daraus ein Geschäftsmodell zu entwickeln oder braucht es dafür mehrere Anwendungsfälle?
Herzlichen Dank für die Einladung, schön dass ich heute dabei sein darf. Für den Einstieg möchte ich die Frage erst einmal einordnen und definieren, was ein Use Case und was ein Geschäftsmodell eigentlich ist und das wiederum in den Kontext setzen. Für mich ist ein Use Case ein Anwendungsbeispiel, in dem Technologien zum Einsatz kommen können. Er ist also erst einmal eher eine Idee oder eine Inspiration. Wenn man sich das Thema Digitalisierung anschaut und schaut, was in den letzten Jahren oder Jahrzehnten so passiert ist, standen in den 90er Jahren vor allem hydraulische oder mechanische Themen im Fokus, später ging es mehr und mehr um Elektrik, in den 2000er Jahren dann um Elektronik, Speicher und programmierbare Steuerungen. Vor ca. 10 Jahren kam dann das Thema Industrie 4.0, das damals auch von der Hannover Messe kommuniziert wurde. Hier ging es um die Digitalisierung von Maschinen, Geräten oder auch ein Stück weit von Prozessen.
Um ein Geschäftsmodell zu entwickeln, muss ich erstmal verstehen, welche transformativen Elemente es in den Märkten gibt. Das können zum Beispiel Niedrigzins-Phasen, Lieferengpässe, neue Technologien oder sogar Startups sein, die etablierte Strukturen angreifen oder ganze Marktsegmente verschieben. Die Folge daraus ist, dass sich Kundenanforderungen im Markt ändern (Thema: time-to-market), Kosten eingespart oder manuelle Abläufe oder Dokumentationen, optimiert werden, beispielsweise in der Supply Chain. Nachhaltigkeit und Energiethemen, die damit einhergehen, Produktionsprozesse und Qualitätsnachweise oder auch neue Ansprüche in Richtung servicelevel-Agreements, kommen ebenfalls dazu.
Ziel der Firmen, die ja auch Innovationsträger sind, ist es, wettbewerbsfähig zu bleiben und transformative Elemente überhaupt erst einmal zu verstehen, um diese dann im besten Falle in einer ganzheitlichen Strategie umzusetzen. Wenn ich mir jetzt eine ganzheitliche Unternehmensstrategie in Richtung Digitalisierung anschaue, geht es also wirklich darum, messbare Leistungskennzahlen für einzelne Funktionsbereiche überhaupt erstmal aufzubauen und auch die Mitarbeiter zu schulen, denn das ist ebenfalls ein ganz neues Thema, das in diesem Kontext aufkommt. Am Ende ist das Ziel, die Investments in Richtung Profitabilität umzuwandeln.
Und um jetzt auf die Use Cases zurückzukommen: Bei diesen einzelnen Funktionsbereiche, bei denen ich als Unternehmen Kosten einsparen, in Richtung neuer Umsätze oder auch in Richtung meines Endkunden denke – Stichwort neue Services – stellt sich jetzt die große Frage: Wann wird dieser Use Case zum Business Case, wann wird also das Investment, das ich als Firma tätige in Profitabilität umgewandelt. Und das hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel vom Kunden oder auch vom Markt, weniger aber von der Technologie. Aus meiner Erfahrung sind 20-30% der Use Cases überhaupt standardisierbar, was dann auch wirklich in Richtung Applikation geht, vielleicht auch für den Maschinenbau. Und um die Frage ganzheitlich zu beantworten: Ja, es braucht mehrere Anwendungsfälle, aber eben mit der return-on-invest-Betrachtung dahinter bzw. der Marktbetrachtung.
Frage 2: Welche Rolle spielt denn dann der Prototyp? Also wo in der Kette steht der für dich und welche Rolle spielt er auf dem Weg zu einem digitalen/datengetriebenen Geschäftsmodell?
Der Prototyp an sich, um überhaupt erst einmal ein Setup zu haben, ist glaube ich, für viele Unternehmen wichtig, um zu lernen und Ideen zu generieren. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, erst einmal den Mut aufzubringen, überhaupt in diese Richtung zu gehen, also auch neue Ideen auszuprobieren. Gerade Unternehmen in einer guten wirtschaftliche Lage, die Pandemie mal ausgenommen, haben generell wenig Zeit, mit der Digitalisierung voran zu schreiten.
Ich glaube, es wichtig, dass man diese Prototypen mit interdisziplinären Teams, die neues Wissen, ein neues Mindset und neue Denkweisen einbringen, umsetzt, um überhaupt solche innovativen Ideen zu generieren. Da ist ein Prototyp wahnsinnig wertvoll, um den Kunden früh mit einzubinden, denn hier herrscht immer noch so ein bisschen Ungewissheit hinsichtlich der Akzeptanz und Bereitschaft der Kunden. Ich glaube, dass man mit Pilotkunden, die schon das richtige Mindset mitbringen, solche Projekte anhand von Prototypen sehr gut auch iterativ entwickeln kann. Das bedingt natürlich auch, dass man den Stolz, den man als Ingenieur in Hinsicht auf eine ganzheitlich durchdachte Lösung mitbringt, abzulegen, denn da geht es ja viel um „ersteinmal machen“ und vielleicht nochmal drei Schritte zurückgehen und zu schauen „okay, gehen wir jetzt in die oder die Richtung“. Dabei ist es auch sehr wichtig, dass die involvierten Partner eine hohe Sensibilität für Kundenbedarfe und hier vielleicht auch für Ängste oder Bedenken mitbringen. Viele Unternehmen bei uns im Netzwerk berichten, dass man irgendwo klein anfängt, sich erstmal einen Datenpunkt anschaut und das Thema dann weiterentwickelt. Größere Firmen haben dafür vielleicht auch Pilotwerke, in denen man mehr als nur einen Prototyp aufbaut. Ich glaube, es ist hier auch wichtig, ein gutes Ökosystem zu haben, übrigens auch unser Schwerpunkt, in dem man die Technologien für den Prototyp auch richtig auswählt. Diese müssen zukunftsfähig, funktionsfähig, praktikabel, offen und gleichzeitig auch ein Stück weit skalierbar sein für die Zukunft. Also ja, Prototypen aufzubauen und dann auch ganzheitlich und mit den richtigen Partnern umzusetzen, ist wahnsinnig wichtig.
Frage 3: Wir gehen jetzt mal praktisch rein. Was sind denn in der letzten Zeit deine spannendsten Use Cases gewesen?
Generell haben wir bei uns auf der Innovationsplattform wahnsinnig viele verschiedene Use Cases mit einem entsprechenden Geschäftsmodell dahinter. Wir haben allein in diesem Jahr richtig tolle Projekte vorgestellt. Um mal ein Beispiel zu nennen: Die Firma WIRTGEN (Teil von John Deere = Baumaschinenumfeld) ist Hersteller von Kaltfräsmaschinen, die eingesetzt werden, um Straßenbeläge abzufräsen. Hier geht es drum, einen sogenannten Performancetracker zu implementieren. Livedaten auf der Baustelle werden digital erfasst, Maschinen miteinander vernetzt und auf dieser Basis ein ganzheitlicher Geschäftsprozess fast schon revolutioniert. WIRTGEN hatte auch die Firma Digital Enabler mit reingeholt, die die Dateninfrastruktur auf der Baustelle optimiert und die Prozesse aufgesetzt hat. Das war wirklich ein spannender Case, bei dem man versteht: Okay, die Baumaschine steht irgendwo auf einer Baustelle und ist erstmal „dumm“ und im nächsten Schritt nehme ich die Daten auf, kann interne Prozesse damit optimieren aber eben auch in Richtung der Kunden ein Dashboard bereitstellen, in dem alle Informationen schon digital bereitstehen, was natürlich unterm Strich auf beiden Seiten enorm Kosten spart und Prozesse optimiert.
Ein anderes Beispiel aus dem Industrieumfeld ist das der Firma HÜDIG, einem Wasserpumpenhersteller. HÜDIG baut speziell Pumpen für Grundwasserabsenkung. Hier geht es im Endeffekt darum, dass man bei einem Bauvorhaben irgendwo auf Grundwasser stoßen kann. Die Pumpen werden dann eingesetzt, um dieses Wasser eben dort rauszupumpen. Die Kunden sind zum Beispiel Baufirmen auch Tiefbauunternehmen oder Dienstleister aus der Wasserhaltung und im Endeffekt haben die ihre Pumpen digitalisiert und mit der Firma Turk zusammen den Service optimiert, indem sie diese Pumpen mit der Cloud vernetzt haben, um so zu wissen, wann ein Motorschutzschalter kaputt geht oder wann bestimmte Fehler, die irgendwo vor Ort auftreten, den Baustellenbetreiber sonst richtig Geld kosten. Dieses Beispiel lässt sich übrigens auf andere Branchen übertragen, in denen auch Pumpen eingesetzt werden.
Und noch ein letztes Beispiel: Die Firma RAMPF (Sondermaschinenbauer für Reaktionsharze) hat zusammen mit Kontron AIS ein innovatives neues Geschäftsmodell umgesetzt. Da geht es um ein Kundenportal, das die Kundendokumentation und auch Kommunikation optimiert, indem es Kunden Livedaten zur Verfügung stellt, aber auch generell jegliche Projektabläufe über eine Plattform aufsetzt, um im Folgenden auch interne Prozesse zu optimieren. Ziel war einerseits die Datentransparenz und Datensicherheit, aber eben auch, das Kundenvertrauen und die Kundenbindung zu stärken.
Das waren jetzt 3 Beispiele, aber es gibt viele weitere aus ganz unterschiedlichen Bereichen, darunter Klärwerke, Automotive, Gebäudetechnik und mehr, die bei uns auch online zu finden sind.
Frage 3: Erkennst du grundsätzlich Trends in diesem Bereich? Kannst du die Geschäftsmodelle, die entstehen und sich entwickeln, in größere, übergeordnete
Ideen einteilen?
Wir haben bei uns 8 Kernbereiche, die sich herauskristallisiert haben und in unterschiedliche Mehrwerte geclustert werden können. Wie ich gerade schon sagte, 20-30% der Use Cases sind standardisierbar, da gibt es ja auch Firmen, die mittlerweile ganze AppStores aufbauen, wo standardisierte Use Cases zum Einsatz kommen. Dans kann zum Beispiel auch so ein Kundenportal sein, weil jeder Maschinenbauer/Sondermaschinenbauer auch den Bedarf hat, diese Kundenthemen zu optimieren. Da gibt es schon auch bestimmte Use Cases, die standardisierbar und einordbar sind.
Kannst du diese 8 Bereiche benennen?
Es geht da zum Beispiel um Themen wie hohe Stromkosten, alles was eigentlich Energiemonitoring angeht oder auch teilweise die Problematik, dass das eine zu grobe Messung stattfindet. Das ist das eine Cluster, also das ganze Thema Stromkosten. Das andere Thema sind Stillstände und auch Abnutzung und Verschleiß von Komponenten, wo eben auch die einzelnen Hersteller mitspielen um da Insights mitzugeben. Dann das Thema Qualitätseinbußen, alles rundum Oberflächenqualitäten oder im Herstellungsprozess Qualitäten, die am Ende zu Ausschuss führen. Dann das Thema Kundenkommunikation und -dokumentation, das ist so der 4. Bereich. Dann Thema: Instandhaltung, Wartung, Service, das geht alles in Richtung hohe Kosten durch manuelle Prozesse. Dann ein Bereich neue Geschäftsmodelle und Vertrieb, also da geht es um: Wie kann ich, dadurch dass zum Beispiel im Bereich Service eine Transparenz über bestimmte Prozesse geschaffen wird, neue Pricing-Modelle aufbauen. Das geht schon fast in Richtung von pay-per-use, pay-per-part-Modelle, aber auch ganz einfach: Wenn mein Kunde schon ein Dashboard hat und ich sage, da ist jetzt eine App, die heißt Energiemonitoring aktivieren, wie viel ist mein Kunde bereit dafür zu zahlen, wenn unterm Strich der return-on-investment für ihn auch stimmt. Letztes Thema ist das der schwerautomatisierbaren Tätigkeiten. Das sind dann teilweise Intelligenzen, die man mit einbringt. Da haben wir auch einen schönen Use Case aus der Textilindustrie. Da geht es um Taktzeiten von einer Nähmaschine. Und selbst so extrem manuelle Prozesse, die nicht automatisierbar sind, können trotzdem digitalisiert werden. Da geht es dann teilweise um akustische Signale oder auch andere Signale, die über smarte Sensorien aufgenommen werden können, die meinen Prozess wiederum optimieren.
Total spannend, ich danke dir!
Use Cases
Quelle: IIoT Use Case
Kunde: RAMPF (Sondermaschinenbauer) & Kontron AIS
Kunde: WIRTGEN & Digital Enabler
Kunde: HÜDIG (Wasserpumpenhersteller) & TURCK
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Luisa Göhler
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