Europas Streben nach Technologiesouveränität – mehr Geschwindigkeit und Konsequenz gefragt
- On 28. Juni 2021
Meinungsbeitrag | Silicon Saxony e. V.
Im September 2020 stand die Entscheidung zur Dienstleisterwahl in Richtung Ausbau des deutschen 5G-Kommunikationsnetzes vor ihrem Finale. Als Schlüsseltechnologie sollte diese Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) auch besonderen Schutz erfahren. Ein Anbieter sorgte in diesem Umfeld für spürbares Unbehagen in den deutschen politischen Reihen – das chinesische Kommunikationsunternehmen Huawei. Ein neues deutsches IT-Sicherheitsgesetz sollte kurzerhand die inzwischen öffentlich gewordenen Bedenken zerstreuen und gleichermaßen die Beteiligung von Huawei erschweren. Eine erweiterte Vertrauensprüfung aller Wettbewerber, über die rein technische Kompetenz hinaus, wurde eingeführt. Unternehmen, die strukturell in ein anderes politisches System eingebunden sind – zum Beispiel organisatorisch oder im Zuge gesetzlicher Verpflichtungen – sollte die Auftragsvergabe verweigert werden. Kurz: Deutschland befürchtete, das neue 5G-Netz könnte, von „falscher“ Hand geplant, gebaut und installiert, eher zum Problem als zur Lösung für die heimische Industrie werden. All die Beteuerungen von Huawei, staatlich unabhängig und durchweg sicher zu sein, halfen hier wenig.
Technologiesouveränität trifft Schlüsseltechnologie – Vertrauen ist gut, Kontrolle besser
Kaum ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte zeigt deutlicher, was einer der zentralen Reflexe bei dem nur schwer zu durchschauenden Buzzword „Technologiesouveränität“ ist – die Sicherheit. Technologie soll helfen. Sie soll wichtige Werte wie Daten, Innovationen und natürlich auch die Menschen dahinter schützen. Doch wie will man diesen Schutz gewährleisten, wenn man die Schwachstellen eines Systems nicht kennt, weil man es nicht selbst entwickelt, produziert und aufgebaut hat? Speziell im Bereich von Schlüsseltechnologien – also von Technologien die sich nicht nur auf eine, sondern auf zahlreiche lebenswichtige Branchen auswirken – gilt es, besonders hohe Maßstäbe anzusetzen. Vertrauen ist hier gut. Kontrolle besser! Doch wirklich kontrollieren kann man nur, was auf eigenem Gebiet, in eigener Verantwortung und unter Anwendung der eigenen hohen Standards passiert. Auch deshalb wird Silicon Saxony nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, zentrale Technologiefelder noch stärker als bisher im eigenen staatlichen bzw. europäischen Verantwortungsbereich zu fördern und damit langfristig zu halten.
Lieferketten und Verfügbarkeit in fremder Hand – ein Problem mit Ansage
Doch Technologiesouveränität bedeutet längst mehr als pure Sicherheit von Daten, Infrastrukturen und Menschen. Die Halbleiterknappheit bei deutschen Autobauern warf in den vergangenen Monaten ein weiteres Schlaglicht auf den Bereich. Die Coronapandemie, die darauffolgende Reduzierung der eigenen automobilen Produktionsumfänge zu Beginn der Krise und eine nur unzureichende Weitsicht sollte die Branchengrößen, von VW über BMW bis Audi, mit einigem Verzug empfindlich treffen. Denn das Anfahren der Produktion auf das Vor-Pandemie-Niveau gegen Ende 2020 wurde zum mittleren Desaster, das bis heute nachwirkt. Noch immer gehen Automobilwerke in den Produktionsstopp. Noch immer fehlt, was vor Corona reichlich vorhanden war – die Mikrochips.
Nur zehn Prozent der weltweiten Chipproduktion findet derzeit in Europa statt. Ein Großteil davon in Sachsen. Die Kombination aus stockenden weltweiten Lieferketten, einer anderweitigen Vergabe von Kapazitäten der Big Player am Chipweltmarkt, hin zu Unterhaltungselektronik und Co., sowie die langwierigen Produktionsprozesse in der Halbleiterbranche führten u.a. zum Mangel an Chips im Bereich Automotive. Diesen kurzfristig zu beheben, lag nicht in deutscher oder europäischer Hand. Die Hilferufe von Bundeswirtschaftsminister Altmaier in Richtung Taiwan und dem weltweit größten Chipproduzenten TSMC waren verständlich, konnten letztendlich aber wenig ändern. Das – zumindest zum größten Teil – produzieren zu können, was im eigenen Land dringend gebraucht wird, ist ein weiterer Punkt im Feld der Technologiesouveränität. Abhängigkeiten von anderen Erdteilen und damit Nationen sowie von langen und teils unsicheren Transportwegen können und werden früher oder später Probleme verursachen. Ein offener Brief von Silicon Saxony an die Bundesminister Altmaier und Scholz thematisierte genau diese Realität, verbunden mit dem Appell, möglichst schnell das neue IPCEI-Mikroelektronikförderprogramm ins Rollen zu bringen. Manchmal reicht bekanntlich bereits ein verkeiltes Containerschiff im Suezkanal, um für perfekt aufeinander abgestimmte Zulieferketten zu zerreißen. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn China seine Ein-China-Politik mit Nachdruck verfolgt und Taiwan, den größten globalen Chipproduzenten, kurzfristig logistisch von der Welt abschneidet.
Apple zieht TSMC nach Arizona. Kommt nach Bosch auch Intel nach Sachsen?
„TSMC erhält grünes Licht für 12 Mrd. Dollar teure Chip-Fab in Phoenix/Arizona“, lautete im November 2020 eine der großen Technologieschlagzeilen. Ziel dieser Maßnahme sei es, die Halbleiter-Lieferkette für die USA zu sichern und die Abhängigkeit von Lieferanten aus China weiter zu reduzieren. 1.900 Arbeitsplätze entstehen perspektivisch. Der Baubeginn der Fabrik ist für 2021 geplant. Die erste Produktionsphase soll im Jahr 2024 starten. Pro Monat werden dann bis zu 20.000 Silizium-Wafer in Arizona verarbeitet. Mit der Ansiedlung von Bosch in Dresden geht Deutschland ähnliche Wege, setzte sich vor einigen Jahren im Bieterkampf gegen die USA und Singapur durch. Das hiesige Werk kostete „nur“ eine Milliarde Euro. 300 Millionen Euro steuerten Europa, Bund und das Land Sachsen dazu. Kleine Brötchen im internationalen Vergleich, aber wichtige. Bosch stellt seit diesem Monat Halbleiterchips für genau jenen Wirtschaftszweig her, der aktuell im Mangel lebt – die Automobilbranche. Auch Intel blickt bereits nach Europa und wohl auch auf Deutschland inkl. Sachsen. Bis zu neun Mrd. Euro wünscht sich der Konzern an Zuschüssen. Es wäre, auch wenn die Summe riesig klingt, gut investiertes Geld. Seit langem wird eine Steigerung des Anteils der europäischen Chipproduktion von zehn auf 20 Prozent am Weltmarkt gefordert. Allein mit der Erweiterung bestehender Werke wird dieses Ziel nur schwer erreichbar sein.
© BOSCH
Kluge Milliardenförderung zahlt sich aus – bei Umwelt und Wirtschaft
Wer noch immer zweifelt, ob Milliardeninvestitionen in Schlüsseltechnologien – wie z.B. durch die europäische Fördermaßnahme IPCEI – und ein gewisses Augenmerk auf Technologiesouveränität sinnvoll erscheinen, dem hilft vielleicht die folgende leicht abgewandelte Weisheit. Frei nach Konfuzius: „Gib einem Unternehmen Chips und es produziert für einen Tag. Fördere ein Unternehmen das Chips herstellt und Hunderte Unternehmen produzieren Tag für Tag.“
An jedem geförderten Technologiebereich und Großunternehmen hängen schließlich Hunderte kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Kunden- und Lieferantenbeziehungen sorgen zwangsläufig zur Umverteilung der Fördermillionen und -milliarden. Arbeitsplätze entstehen. Steuern werden gezahlt. Die Wirtschaft wächst und mit ihr der Wohlstand in der Region. Nicht umsonst wuchs Sachsens Mikroelektronik- und IKT-Branche in den vergangenen zehn Jahren von 45.000 auf über 70.000 Beschäftigte. Nicht zuletzt profitieren jene Unternehmen, die Chips verbauen. Nähe zum Notwendigen schadet schließlich nie.
Ein weiterer wichtiger Punkt abseits der positiven wirtschaftlichen Entwicklung und sicheren Lieferketten sind kurze Lieferwege, die hohen Standards unterworfenen Produktionsbedingungen und damit ein besserer Umwelt- und Klimaschutz. Bauteile von wenigen Euro oder sogar Cent um den halben Planeten zu befördern, kann nicht die Zukunft sein. In Zeiten einer zu Recht aufbegehrenden Jugend- und Klimabewegung gilt es Technologien ressourcen- und energieschonend zu produzieren. Denn was nützen Bekenntnisse zur CO2-Neutralität, wenn große Teile entscheidender Technologien am anderen Ende der Welt unter weniger optimalen Bedingungen und auf dem Rücken der Umwelt produziert werden?
Das Fazit
Das Streben nach Technologiesouveränität ist inzwischen mehr als der Ausdruck eines globalen Kampfes verschiedener Volkswirtschaften. Es geht nicht darum, China oder die USA zu entthronen, sondern Europa mit Vernunft und Geschick in wichtigen Technologiebereichen unabhängiger zu machen, Ressourcen und damit auch die Umwelt zu schonen, Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zu bewahren sowie letztendlich den Wohlstand Europas auf lange Sicht zu gewährleisten. Ob Sicherheit, Lieferketten, Verfügbarkeiten, Klimaschutz oder Wohlstand – all das steht und fällt mit Technologien, die in Europa führend entwickelt, aber immer seltener im erforderlichen Maße produziert werden. Wollen Europa und damit auch Deutschland in Zukunft ihrer Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung und der eigenen Wirtschaft sowie Industrie gerecht werden, muss das Thema Technologiesouveränität noch stärker in den Fokus von politischen Entscheider:innen rücken. Mehr denn je ist Geschwindigkeit und Konsequenz gefragt. Schließlich wächst mit jedem Jahr die Abhängigkeit von – zugegeben teils billigeren – internationalen Importen. Doch billig kann Europa perspektivisch teuer zu stehen kommen.
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Luisa Göhler
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