
KI und Edge kooperativ projektiert
- On 24. November 2021
„Edge Computing“ als zentrale Säule für vorausschauende Wartung
Durch Datenverarbeitung am Netzwerkrand können KI-Systeme in Echtzeit auf Anomalien im Maschinenpark reagieren und Kosten sparen – ein Multimilliardenmarkt expandiert
Dresden. Schon heute ist schnelle Echtzeit-Datenverarbeitung am Netzwerkrand ein Multimilliar-den-Markt. Dabei steht das „Edge Computing“ immer noch am Anfang seiner Diffusionsphase: Laut „Grand View Research“ umfasste der „Edge Computing“-Weltmarkt im Jahr 2020 bereits 4,68 Milliarden Dollar (3,95 Milliarden Euro) und wird sich bis zum Jahr 2028 nahezu verzehnfachen.
Die dynamische Entwicklung erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass sich „Edge“ als eine Schlüsseltechnologie für die Industrie 4.0 und die gesamte Digitalisierungsstrategie herausgestellt hat. Viele gute Argumente sprechen dafür, sich weder völlig auf reine Cloud-Lösungen, noch allein auf eigene lokale Rechenzentren zu verlassen. Gerade dann, wenn ein Unternehmen Automatisierungslücken schließen, Produktivitätsreserven erschließen und resilienter gegen äußere und innere Störungen werden will.
„Predictive Maintenance“ und integrierte Fertigung sind naheliegende An-wendungsszenarien
Beispiele für Edge-Anwendungsszenarien sind die nachträgliche Aufwertung eines Industriebetriebes hin zu einer – dezentral durch „Künstliche Intelligenz“ (KI) organisierten – „Computerintegrierten Produktion“ (Computer Integrated Manufacturing, kurz: CIM) oder für die „vorausschauende Wartung“ („Predictive Maintenance“, kurz: PM). Beide Szenarien machen es in aller Regel notwendig, Maschinen, Transportsysteme, Regeltechnik, Lose, womöglich auch einzelne Werkstücke mit eigener Sensorik und einem gewissen Maß an „Eigenintelligenz“ nachzurüsten („Retrofit“).
Die dabei entstehenden Datenfluten sind immens und erfordern neue Verarbeitungsansätze. Einer IDC-Analyse zufolge wird sich das globale Datenvolumen bis 2025 auf rund 175 Zettabyte (Trilliarden Byte) fast verdreifachen. Davon müssen dann etwa 30 Prozent in Echtzeit analysiert werden. Parallel dazu verdoppelt sich die Zahl der vernetzten Geräte im Internet der Dinge (Internet of Things, kurz „IoT“) laut „Statista“ auf über 75 Milliarden IoT Devices.
Ein Praxisbeispiel: Die neue Bosch-Chipfabrik in Dresden, die von Anfang an für den Einsatz modernster KI-, Edge und PM-Technologien eingerichtet wurde, wird voraussichtlich ein Terabyte Daten pro Tag liefern – erzeugt von über 300 Anlagen, in denen jeweils Dutzende, teils sogar Hunderte Sensoren Zustands- und Prozessinformationen sammeln. Diese Datenfluten könnte kein Mensch rasch genug auswerten – aber auch Cloud-Lösungen, die physisch auf entfernten Rechenzentren beruhen, könnten wegen der Datenmengen, Signallaufzeiten und Latenzen nicht in Echtzeit auf Störungen an den Maschinen oder im Prozess reagieren.
Hier kommt das „Edge“-Konzept als Schicht zwischen den Rohdatenfluten auf der Fertigungsebene und leistungsfähigen Cloud-Diensten ins Spiel. Die Cloud realisiert dabei zwar weiter die komplexeren Analysen und den primäre Anlernprozess („Machine Learning“). Doch für Vorverarbeitung und Echtzeitreaktion ist der Netzwerkrand zuständig.
Günstige Hardware macht den Einstieg für die Industrie leicht
Damit dies möglich ist, wird die Software direkt auf den Endgeräten ausgeführt und auch Daten werden direkt auf den Devices gespeichert. Besonders leistungsfähige Hardware ist deshalb einer der Grundpfeiler für Edge Computing. Diese industrietauglichen De-vices sind mittlerweile für niedrige dreistellige Beträge zu haben, was den Einsatz auch für kleinere Unternehmen nicht nur möglich, sondern vor allem auch rentabel macht.
„Edge“ für mehr Datensicherheit und geringere Latenzen
Vor allem in Zusammenspiel mit KI-Technologien, 5G-Vernetzung und dem Einsatz künstlicher neuronaler Netze auf Sensorsystem-Ebene sind durch den „Edge“-Ansatz erhebliche Vorteile für ein produzierendes Unternehmen möglich, zum Beispiel:
- kurze Latenzzeiten, da die Signale oft nur wenige Dutzend oder Hundert Meter zurückzulegen haben
- Echtzeit-Reaktion auf Anomalien
- schnelle Vorverarbeitung von Sensordaten
- Entlastung des IT-Budgets: Übertragen werden nur aggregierte Daten, aus denen die Edge-KI bereits Redundanzen aussortiert hat, was geringere Verbindungskosten und weniger kostenpflichtigen Speicherplatz bedeutet
- mehr Ausfallsicherheit durch dezentrale Systeme
- mehr Datensicherheit: Sensible Daten und speziell entwickelte Algorithmen bleiben auf dem Firmengelände.
- weniger Datenlast in den Netzen
- Offline-Verfügbarkeit ermöglicht die Weiterarbeit bei Internet-Ausfällen, Angriffen auf die Cloud oder anderen externen Störungen.
Allerdings gibt es auch Nachteile, zum Beispiel:
- eigene lokale Infrastrukturen, Speicher- und Rechenkapazitäten notwendig
- Einheitliche Schnittstellen, Daten- und Übergabeprotokolle müssen in allen Ebenen des IoT-Stacks implementiert werden.
- Flickenteppich-Gefahr: Bei inkonsistenten und nicht ausreichend gehärteten Edge-Teillösungen, die schlecht korrespondieren, drohen Sicherheits- und Ausfallrisiken.
„Edge“-basierte Lösungen „aus einem Guss“ können beispielsweise große „Industrie 4.0“-Anbieter liefern. Bis die kundenspezifische Lösung implementiert ist, verliert das Zielunternehmen allerdings bei dieser Option oft wertvolle Zeit in einem herausfordernden Wettbewerbsumfeld. Deshalb setzen sich für komplexe Edge-Konzepte in der Werkhalle („shop floor“) zunehmend auch Co-Innovationsprozesse durch.
Referenzen dafür hat der „Smart Systems Hub“ in Dresden inzwischen mehrfach realisiert. Das auf IoT-Lösungen spezialisierte Hub-Team versteht sich dabei als agiler Vermittler und Verknüpfer zwischen Start-ups, kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) sowie Branchengrößen und Forschungseinrichtungen. „Wir sind das Schnellboot hin zur raschen Anwendung“, sagt Hub-Geschäftsführer Michael Kaiser.
Beispiel: vorausschauende Ventil-Wartung in Europas größter Halbleiterfabrik
Für Europas größte Chipfabrik beispielsweise brachte der Hub einschlägige Experten für Edge, KI, Sensorik und produktionsnaher Visualisierung (Shop floor dashboards) aus unterschiedlichen Unternehmen in einer „Digital Product Factory“ zusammen. Binnen drei Monaten realisierte dieses Co-Innovations-Team auf Zeit eine Lösung für die vorausschauende Wartung von Reinstwasser-Ventilen. „Bezogen auf die reinen Instandhaltungskosten sehen wir Vorteile von bis zu 20 Prozent gegenüber der klassischen vor-beugenden Instandhaltung mit festgelegten Intervallen“, schätzt der zuständige leitende Ingenieur Dr. Axel Preusse ein. Das Halbleiterunternehmen will nun diese „Predictive Maintenance“-Ansätze ausbauen, in den Fertigungsstandorten ausrollen und auf weitere Szenarien übertragen.
© Smart Systems Hub
Der IoT-Stack im kollaborativen Innovationsprozess
Wichtig ist es, in solch einem kollaborativen Innovationsprozess den Weg zum Funkti-onsmuster, Prototypen oder „Produkt mit minimalen Eigenschaften“ („Minimum Viable Product“, kurz MVP) zu definieren. Vor allem mit Blick auf die Integration in die (IT-)Umgebung des Kunden hilft es, die Aufgaben in einem Architektur-Schaubild zu visualisieren. Dieser „IoT Stack“ zeigt die verschiedenen IoT-Technologieoptionen, die Schnittstellen, Geräte und Plattformen als Ebenen beziehungsweise Schichten. Im konkreten Fall für die vorausschauende Ventil-Wartung waren das beispielsweise:
- Sensor-Ebene: Vibrationssensoren und Miniatur-Mikrofone für die Erfassung der Ventilgeräusche von einem Forschungsinstitut und einem Halbleiterkonzern
- Sensorsystem- und Edge-Ebene: leistungsstarke universelle Sensorplattform eines Start-ups, die einen Teil der Edge-Intelligenz und KI-Algorithmen an Bord realisiert
- Datenübertragung: WLAN und Ethernet, 5G möglich
- KI-Ebene: komplexere KI-Aufgaben und Analysen, von einer jungen Softwareschmiede hardware-nah geschrieben
- Visualisierungsebene: Dashboard eines großen Digitalunternehmens
- Cloud-Ebene: Verknüpfung mit zentralen Clouddiensten, um die am Netzwerkrand vorverarbeiteten Daten sowie die „Machine Learning“-Algorithmen zu übertragen
© Smart Systems Hub
Diese Art der Innovationskooperation habe sich bewährt, um rasch zu einer praxistauglichen Edge-Lösung zu kommen, betont Axel Preusse. „Mit dem Smart Systems Hub hatten wir ein Team zur Verfügung, welches ein sehr breites Skillset eingebracht hat, das in dieser speziellen Form intern nicht vorhanden ist.“
Quellen (Auswahl)
https://www.grandviewresearch.com/industry-analysis/edge-computing-market
https://smart-systems-hub.de/dpf2-review
https://www.bosch.com/de/stories/fabrik-der-zukunft-halbleiterwerk-dresden/
https://www.industry-of-things.de/anteil-an-echtzeit-daten-soll-bis-2025-auf-30-prozent-steigen-a-782609/
https://smart-systems-hub.de/10-fragen-an-michael-wotzka-von-globalfoundries-zur-digital-product-factory-2
https://www.idc.com/getdoc.jsp?containerId=prUS47560321
Weiterführende Informationen
Kontakt
HANS KLINGSTEDT
Business Development & Co-Innovation | Smart Systems Hub
+49 (0) 151 17 53 56 02
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Hanna Hübner
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