GAIA-X – Wohin fliegt die digitale Mondrakete?
- On 8. Dezember 2020
Gastbeitrag | Autor: Marius Feldmann | Cloud&Heat
Das Projekt GAIA-X wird durch den GAIA-X Summit Mitte November wie auch durch den Digitalgipfel Ende November erneut in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Zuletzt war die Initiative, die sich der digitalen Souveränität verschrieben hat, im Juni sehr prominent in der deutschen Medienlandschaft präsent. Getrieben wurde diese Medienpräsenz durch ein vom Wirtschaftsministerium veranstaltetes Ministergespräch am 4. Juni 2020, in dem Peter Altmaier gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire die hohe Erwartungshaltung an das Projekt herausstellte. Von einer digitalen Mondrakete und einem weltweiten Goldstandard war dabei die Rede. Doch was verbirgt sich hinter GAIA-X?
Die Motivation hinter GAIA-X ist leicht verständlich: GAIA-X kritisiert unter anderem die bestehenden Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern sowie die Intransparenz und unzureichende Interoperabilität der Cloud-Angebote. Zeitgleich stellt GAIA-X die Notwendigkeit an vertrauenswürdigen, sicheren und transparenten Dateninfrastrukturen in den Fokus der Aktivitäten.
Eine europäische Initiative
Das Projekt, das vor rund einem Jahr erstmalig auf dem Digitalgipfel 2019 vorgestellt wurde, strebt die Schaffung eines offenen, sicheren und vor allem transparenten Ökosystems an, das digitale Dienste zwischen Anbietern und Nutzern effizient vermittelt.
Der Impuls für das Projekt kam ursprünglich aus Deutschland, kurz darauf schloss sich Frankreich der Idee an. Mittlerweile folgten Unternehmen aus weiteren europäischen Ländern. Grundsätzlich versteht sich GAIA-X von Beginn an als gemeinschaftliches Projekt mehrerer Nationen – nicht-europäische Akteure sollen bei der Entwicklung und Weiterentwicklung nicht ausgeschlossen werden.
Bis heute ist das offen gestaltete Konsortium, an dem grundsätzlich jeder teilnehmen kann, auf mehrere hundert Unternehmen angewachsen.
Digitale Souveränität statt digitaler Autarkie
GAIA-X hat seine Daseinsberechtigung von Beginn an schlagkräftig kommuniziert: Durch die Freiheit, selbstbestimmt zwischen verschiedenen Anbietern im Bereich digitaler Infrastrukturen wählen zu können, erlangen die Nutzer ihre digitale Souveränität zurück. Ziel des Projektes sollte dabei sein, digitale Souveränität klar von digitaler Autarkie abzugrenzen. Zur Sicherung eines den gesellschaftlichen Wohlstand befördernden freien Marktes und zum Wohle der Nutzer müssen die Hürden reduziert werden, digitale Infrastrukturen anbieten zu können. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass eine einmal getroffene Wahl für einen spezifischen Anbieter ohne große Aufwände korrigiert werden kann. Es gilt, die Bindung an einen Anbieter – ein „Vendor-Lock-In“ – wie auch ein auf Dauer innovationsfeindliches Oligopol, in dem wenige dominierende Anbieter sowohl die Preise wie auch die Technologien vorgeben können, zu verhindern. GAIA-X richtet sich dabei nicht gegen bestehende dominierende Cloud-Angebote. Vielmehr sollen sich neue und bestehende Angebote synergetisch ergänzen.
Soweit klingt das Projekt sinnvoll. Ein Bedarf für das genannte Ökosystem lässt sich sowohl bei Großunternehmen wie auch beim breiten Mittelstand feststellen. Am Markt ist in der Tat eine hohe Erwartungshaltung zu erkennen. Darauf deutet auch die zahlreiche Teilnahme am Projekt hin, die in relativ kurzer Zeit etabliert werden konnte. Mitarbeiter aus DAX-Konzernen wie auch aus kleinen Startups sind sich einig: Ein Aufbrechen des Marktes für Cloud-Infrastrukturen und die Etablierung einer souveränen Daten-Ökonomie klingt verheißungsvoll.
Ist der Erfolg mit dieser breiten Akzeptanz der Projektbotschaft also geradezu garantiert? Zwei Faktoren sind entscheidend, damit die von Herrn Altmaier gestartete Mondrakete keine Bruchlandung hinlegt: Eine strikte Bedarfs- und Umsetzungsorientierung sowie eine klare Vision für das Projekt.
Machen statt reden
Vom Initiator des Betriebssystemkerns Linux, Linus Torvalds, stammt der Satz “Talk is cheap. Show me the code.“, der eine Geisteshaltung unterstreicht, die auf die Umsetzung und technische Materialisierung von Ideen fokussiert ist. Analog ist der Spruch „We believe in: rough consensus and running code.“ ein inoffizielles Motto der Internet Engineering Task Force, der Organisation, die als Freiwilligenorganisation seit Jahrzehnten die Technologien des Internets weiterentwickelt.
Es ist genau diese Geisteshaltung, die Projekte wie das Internet sowie das quelloffene Linux fundiert hat, die sicher als herausragende technische Leistungen nicht nur unserer Zeit gelten, sondern über diese hinaus wirken werden. Und das Projekt GAIA-X? Anstatt konkreter Ergebnisse hat es bisher überwiegend Papier produziert. Die Stimmen, dass das Praktische und die Umsetzung stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müssen, werden lauter. Es formieren sich Gruppen, die nicht nur punktuelle Ergebnisse erarbeiten, sondern ausgehend von Nutzerbedarfen in erste Pilotierungen gehen wollen. Diese Initiativen, die das „Machen“ in den Mittelpunkt stellen, sind jene, die am Ende über Erfolg und Misserfolg des Projektes bestimmen. Entscheidend wird sein, ob die Politik diese Projekte erkennt und unterstützt oder lediglich die Produktion gut gemeinter Konzepte fördert.
Die Projektvision schärfen
Derzeit nimmt zur weiteren Fundierung der Projektergebnisse eine rechtliche Entität, die GAIA-X AISBL, ihre Arbeit auf, um die weiteren Schritte aus dieser heraus zu steuern und vorwärts zu treiben. So logisch dieser Schritt ist, so interessant ist die Zusammensetzung der elf deutschen Gründungsunternehmen und -organisationen, die in einem nicht gerade transparenten Prozess die exponierte Gründerrolle übernommen haben. Kurz gesagt: Alle elf Unternehmen zählen zu den großen Playern der deutschen IT-Wirtschaft oder gar der klassischen Industrie. Interessant dabei ist: Ostdeutsche Akteure zählen nicht dazu. Die zentrale Frage ist dabei jedoch nicht, ob etwa „Groß gegen Klein“ agiert oder gar „Ost gegen West“ – die Frage ist eine andere: Was versteht GAIA-X unter „digitaler Souveränität“? Ist darunter die Gewinnung von Marktanteilen von etablierten Cloud-Anbietern zu verstehen, die man eher einigen wenigen großen europäischen Akteuren gönnt? Oder versteht man darunter das Aufbrechen eines innovationsbedürftigen Marktes – eines Schrittes, der auch vor den engen wirtschaftlichen Netzwerken innerhalb Europas nicht halt macht? Hieraus könnte sich eine immense Chance ergeben, wahre Innovationen an die Oberfläche zu befördern und auf den Weg zu einer enormen Sichtbarkeit zu führen. Was also wird GAIA-X am Ende sein?
Schlussendlich obliegt die zentrale Deutungshoheit über das Projekt denjenigen, die Fakten schaffen wie auch der Politik als Mediator. Sie können in den nächsten Monaten, gar Jahren, entscheiden, wo die Reise hin zur digitalen Souveränität Europas geht. Der Mond ist auf jeden Fall ein erreichbares Ziel – und von dort soll der Schritt zum Mars deutlich leichter sein!
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Luisa Göhler
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