Digitaler Zwilling und Manufacturing-X als Wegbereiter für digitale Ökosysteme – Gemeinsam wettbewerbsfähiger werden
- On 28. Oktober 2024
Ein Gastbeitrag von Johannes Kalhoff | Master Specialist, Digital Innovations bei Phoenix Contact GmbH & Co. KG, Blomberg
Digitaler Zwilling und Manufacturing-X als Wegbereiter für digitale Ökosysteme – Gemeinsam wettbewerbsfähiger werden
Johannes Kalhoff | Master Specialist, Digital Innovations
Bei der Asset Administration Shell (AAS) handelt es sich um den standardisierten digitalen Zwilling der Initiative Industrie 4.0. In Kombination mit Datenräumen erweist sich die AAS als Befähiger und Brückenbauer für die digitale Wertschöpfung. Datenräume fungieren als Vertrauensräume, in denen Unternehmen und Assets – wie Komponenten, Maschinen und ganze Anlagen – sicher und vertrauensvoll mit datengetriebenen Lösungen und Software-Services interagieren können.
Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Datenraum? Und welche Rolle kommt der interoperablen Datenlogistik über einen digitalen Zwilling zu? Mit dem Start der Initiative Industrie 4.0 und der Idee, zusätzliche Mehrwerte durch Digitalisierung zu schaffen, wurden die Grundlagen für die technische Infrastruktur für Datenräume gelegt. Cyber-physikalische Systeme (CPS) und die erweiterten Cyber-physikalischen Produktionssysteme (CPPS) haben in diesem Zusammenhang erste Ansätze beschrieben, neben dem physikalischen Asset ein digitales Abbild (digitalen Zwilling) über den Entstehungs- und Lebenszyklus mitzuführen. Dabei generieren Unternehmen, die Produkte (Assets) anbieten, einen Produktnutzen und damit Wertschöpfung im Lösungsraum des Produkts respektive dessen Anwendung beim Nutzer.
Bild 2: Die Verbindung von realen Dingen mit digitalen Abbildern erschließt aufgrund der digitalen Interaktion Vorteile
Die Idee von Industrie 4.0 ergänzt den produktfokussierten Lösungsraum durch die Fähigkeit einer digitalen Interaktion mit unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsketten in Richtung eines digitalen Ökosystems. Die am Ökosystem (Datenraum) Beteiligten können ihr bestehendes Produktangebot nun durch Mehrwertdienste in einem zusätzlichen Lösungs-/Angebotsraum erweitern. Auch in Kooperation mit anderen Unternehmen lassen sich jetzt kundenorientierte Dienstleistungen erbringen, die der Produkthersteller allein nicht zur Verfügung stellen kann oder aus Geschäftsmodell- respektive Kompetenzgründen möchte. Das können im einfachsten Fall Informationen sein, die die Verwendung des Produkts entlang des Engineering- oder Produkteinsatzes für den Anwender nahtlos gestalten. Des Weiteren ermöglichen Datenräume Effizienzgewinne, welche im Wesentlichen auf einem einheitlichen Kommunikationszugang und Vereinbarungen zur genutzten Semantik und am Datenraum Beteiligten basieren.
Datenlogistik zur sicheren Interaktion
Die Voraussetzung für die Verwendung von Datenräumen ist eine gemeinsame Datenlogistik, die den Datentransport international verfügbar, technisch einheitlich und ökonomisch umsetzbar macht. Darüber hinaus muss der Zugang die unternehmerische Handlungsfreiheit unterstützen und Wettbewerbshindernisse – zum Beispiel Vendor Lock-in – oder Restriktionen in der Datenbereitstellung und -nutzung durch Dritte strukturell vermeiden. Im Referenz-Architektur-Modell Industrie 4.0 (RAMI 4.0) sind diese Rahmenbedingungen in der Ebene „Kommunikation“ vorgedacht und finden sich in der AAS als digitalem Zwilling von Industrie 4.0 wieder.
Bild 3: Darstellung des Referenz-Architektur-Modells Industrie 4.0 (RAMI 4.0)
Für den weltweiten Einsatz werden die Referenzstruktur (IEC PAS 63088) und die Asset Administration Shell in der Normenreihe IEC 63278 international standardisiert. Ziel ist, die Datenlogistik und damit die sichere Interaktion zwischen den Unternehmen oder Assets einheitlich, also ohne große Hürden und kostengünstig in der Implementierung und im Betrieb auszuprägen. Technisch sorgt die AAS auf der LAN-/WAN-/Internetebene für einen wirtschaftlichen Zugriff auf eine bestehende Dateninfrastruktur sowie den sicheren Datentransport und die Syntax zur Organisation der Informationen. Analog zum Internet wird der Austausch jeglicher Daten über diese Interaktionsschicht sichergestellt, ohne mit Geschäftsmodellen verknüpft oder durch sie reglementiert zu sein.
Einbindung der Semantiken verschiedener Industrien
Ferner verfügt die Architektur über Mechanismen, die unterschiedlichen Semantiken verwenden zu können. Das unterstützt die Nutzung vorhandener industrieller Standards und vereinfacht die Integration. Diese konstruktive Fähigkeit der AAS bindet zudem die standardisierten Semantiken als Sprachen der verschiedenen Industrien ein, anstatt sie auf einen einheitlichen Standard migrieren zu müssen. Als Beispiel dafür sei die Industrie-4.0-Interoperabilität durch OPC UA mit Companion Specifications genannt. Die industrie- und datenraumübergreifende Fähigkeit einer standardisierten Datenlogistik erlaubt den durchgängigen und automatisierbaren Aufbau von Wertschöpfungsketten.
Die für Datenräume notwendige funktionale Schicht setzt auf der Datenlogistik auf und bietet einerseits standardisierte oder datenraumspezifische Services an. Diese können verpflichtend für die Funktionalität von Datenräumen oder optional für den jeweiligen Datenraum vereinbart werden. Die vielfach auf Anwendungsfällen basierenden Funktionen bilden Fähigkeiten ab, die für die Realisierung erforderlich sind. Dazu gehört beispielsweise eine Notification-Funktion, die Software-Updates der eingesetzten Produkte über unterschiedliche Unternehmen hinweg abonniert. Der die Datenlogistik nutzende Datenraum besteht aus einer Vereinbarung zwischen den am Datenraum Beteiligten. Sie umfasst die Teilnehmer, Verfahren zur sicheren Identifizierung, verwendeten Dienste und Sprachelemente (Semantiken für die automatisierbare Interpretation) sowie den rechtlich verbindlichen Rahmen für die Zusammenarbeit. Darauf aufbauend können Unternehmen und öffentliche Stellen individuelle und sich im Wettbewerb befindliche Geschäftsmodelle organisieren. Als Datenraum für die Automobilindustrie und ihre Zulieferbetriebe ermöglicht zum Beispiel Catena-X die Gestaltung der Lieferkette über alle Zulieferer hinweg.
Factory-X für Hersteller, Ausrüster und Anwender/Betreiber
Bei Manufacturing-X handelt es sich um eine Förderinitiative der Bundesregierung zur Entwicklung von industriellen Datenräumen als weiteren Schritt bei der Umsetzung von Industrie 4.0. Die Initiative wird durch die Bundesministerien Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie Bildung und Forschung (BMBF) getragen. Im Rahmen von Manufacturing-X ist Factory-X ein wesentliches Leitprojekt, das einen Datenraum und damit das digitale Ökosystem von Komponentenlieferanten, Industrieausrüstern sowie Anwendern oder Betreibern von industriellen Produktionsmaschinen und -standorten schaffen soll. Phoenix Contact unterstützt Manufacturing-X über die Plattform Industrie 4.0 und beteiligt sich im Förderprojekt Factory-X an drei wichtigen Anwendungsfällen zum Aufbau einer interoperablen, standardisierten Datenlogistik:
Bild 4: Manufacturing-X als Brückenbauer für eine industrievernetzende digitale Wertschöpfung
Collaborative Information Logistics
Dieser Anwendungsfall zielt auf das Angebot interoperabler unternehmensübergreifender Dienste ab, die mehreren Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, Informationen standardisiert und sicher austauschen zu können. So lassen sich zum Beispiel Produktinformationen automatisiert zwischen den IT-Systemen verschiedener Hersteller und Produktverwender kommunizieren. Das verringert die manuelle Datenübernahme und erhöht die Prozessqualität für die Kunden.
Bild 5: Transparenz in der Lieferkette am Beispiel eines Schaltschranks im Showcase „Digital Product Passport 4.0“ (DPP4.0) führender Hersteller im Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI)
Integrated Toolchains and Collaborative Engineering
Hier geht es darum, Software-Werkzeuge und Lösungen für die Automatisierung im Maschinenbau nahtlos zu verbinden, was technische Toolketten zur Erstellung und zum Betrieb von Maschinen und Anlagen ermöglicht. Ein Beispiel dafür stellt die vereinfachte Integration der Produkt-Konfiguratoren von Phoenix Contact in die Engineering-Werkzeuge der Elektroindustrie dar. Auf diese Weise beschleunigen sich die Produktauswahl und deren Konfiguration innerhalb des Engineerings ebenso wie entlang des gesamten Lebenszyklus von Maschinen und Anlagen.
Information Update and Change Service
Vernetzte, auf Software basierende Komponenten, Maschinen und Anlagen unterliegen einem stetigen Wandel. Anforderungen an die Aufrechterhaltung der Security-Funktionalität sowie neue wertschöpfende Funktionen erweisen sich vielfach als Grund für ein Angebot über Software-Updates. Um bei einer zunehmenden Anzahl an Software-basierten Produkten unterschiedlicher Hersteller für die Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen zu sorgen, besteht die Anforderung nach einer höheren Transparenz bezüglich der verbauten Produkte und deren Weiterentwicklung durch den Hersteller. Ziel ist es, die oftmals manuellen Prozesse – Informationsversand per E-Mail, selbständiges Durchsuchen der Hersteller-Webseiten – um ein prozesssicheres und automatisierbares Verfahren zu ergänzen. Änderungsinformationen – beispielsweise Product Change Notifications (PCN) oder Software-Updates – stehen in diesem Szenario automatisch für die IT-Systeme des Product Lifecycle Managements (PLM) oder Asset Managements zur Verfügung. Das steigert die Verfügbarkeit der Maschinen und Anlagen selbst bei wachsenden Anforderungen an die Security.
In der digitalen Fabrik stärken Interoperabilität in der Kommunikation und die Nutzung von Datenräumen die Resilienz, weil sich Unternehmen schneller optimieren und auf Störungen reagieren können. Außerdem lassen sich regulatorische Vorgaben der Politik – zum Beispiel zum EU Digital Product Passport, CO2-Fußabdruck sowie zur Kreislaufwirtschaft oder Transparenz in den Lieferketten – besser abbilden.
Erweiterung der Fähigkeiten
Mit Industrie 4.0 und IoT wird die Welt der digitalen Modelle und Prozesse derart eng mit realen Objekten (Produkte, Menschen, Maschinen) und Prozessen (Geschäftsprozesse, technische Prozesse) verbunden, dass sie die Fähigkeiten von Unternehmen maßgeblich erweitert oder begrenzt. Mit Blick auf die anstehenden Herausforderungen des Klimawandels, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz in Lieferketten sowie den spezifischen Anforderungen an die Security von Produkten und Systemen sind diese Herausforderungen nur durch automatisierbare und damit digitale Interaktionsvorgänge zu meistern. Die Verfügbarkeit einer standardisierte Datenlogistik via AAS und Datenräumen wie Factory-X ermöglicht es den beteiligten Unternehmen, gemeinschaftliche Aufgaben zu lösen, voneinander zu partizipieren und ihren Angebots- und Lösungsraum zu ergänzen.
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