10 Jahre, 12.000 Start-ups – Was das Ökosystem daraus lernen kann
- On 8. Juni 2022
Gastbeitrag | Autor: Thomas Schulz, Head of Operations | HighTech Startbahn
In den letzten zehn Jahren haben wir als HighTech Startbahn über 12.000 Start-ups aus ganz Europa gesehen. Anfragen wie: „Könnt ihr mal einen Blick auf mein Pitchdeck werfen?“, „Bosch hat abgesagt, was mache ich jetzt?“, „Macht es Sinn, auf dieses Event zu gehen oder dieses Messe- oder Pitchangebot anzunehmen?“, bis zu „Wir brauchen 5 Mio. € in den nächsten vier Wochen.“, gehören zur Tagesordnung.
2010, als wir begannen den Transfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft über Start-ups aktiv zu unterstützen, konnten im regionalen Ökosystem nur sehr wenige etwas mit Begriffen wie liquidation preference, tag along und drag along anfangen.
Venture Capital als Finanzierungsform war neu und deutsche Investoren, Universitäten und demzufolge auch Start-ups, waren eher unerfahren mit dieser Finanzierungsform.
Heute sind Start-up und Venture Capital geflügelte Worte und TV-Shows präsentieren und parodieren Jungunternehmer:Innen. Vorstände börsennotierter Unternehmen sowie Politiker:Innen nehmen nach einer drei-Tage-Reise ins Silicon Valley ihre Krawatte ab und predigen, dass Start-up-Agilität und -mindset der einzig wahre Weg sei und natürlich müsse jede mittlere Kommune jetzt das deutsche Silicon Valley werden.
Natürlich ist es zu befürworten, dass etablierte Unternehmen auf Start-ups schauen und sich auf Augenhöhe austauschen wollen, dass die Politik zunehmend die Relevanz von Start-ups erkennt und dass die Medien das Thema aufgreifen und es TV-Shows wie „shark-tank“ oder „Die Höhle der Löwen“ gibt, die das Thema in die breite Öffentlichkeit bringen. Was aber zumeist komplett fehlt, ist der Kontext: Venture Capital ist nur Mittel zum Zweck, um das Unternehmenswachstum zu finanzieren. Investorensuche ist nur ein Teil des Start-up-lifes und Start-up-life ist alles andere als trivial.
Warum gründen Menschen eigentlich Unternehmen? Was sind Gründe für das Scheitern von Start-ups? Warum „pitchen“ sie scheinbar bei jeder Gelegenheit und warum sollte man es manchmal lassen? Warum bekommt man manchmal nichts von ihnen mit?
Im Folgenden möchten wir einmal gemeinsam einen Blick in das echte Start-up-life werfen und erläutern, warum Start-ups manchmal nicht auf eine E-Mail antworten, die eine Pitchofferte oder Kontaktvermittlung zu einem „Bekannten“ beinhaltet. Dazu beleuchten wir nur ein paar Akzente des Unternehmensaufbaus und Wachstums, die dazu beitragen sollen, Start-ups etwas besser zu verstehen.
Was ist ein Start-up?
Was ist eigentlich ein Start-up? Ein Start-up ist ein Unternehmen (oder auch kurz vor der juristischen Gründung) mit einer innovativen Lösung oder Technologie auf der Suche nach oder mit einem skalierbaren Geschäftsmodell und hohem Wachstumspotenzial.
Als HighTech Startbahn unterstützen wir privatwirtschaftlich in ganz Europa high-tech Start-ups, die heute zum Teil auch als Deeptech bezeichnet werden. Also junge Unternehmen, die zumeist aus Universitäten, Forschungsinstituten oder auch Hochtechnologieunternehmen ausgegründet werden. Diese zeichnen sich zumeist durch sehr komplexe und erklärungsbedürftige Technologien oder Lösungen, geschützte oder schützenswerte IP (intelectual property), einen gewissen „unfairen Vorteil“ und B2B-Geschäftsmodelle aus. Oft sind es Speziallösungen für wenige internationale Kunden, die aber sehr großes Marktpotenzial bieten.
Das „typische“ high-tech Start-up
… gibt es nicht. Dennoch versuchen wir es einmal zu skizzieren: Zumeist besteht das Gründerteam aus 2-3 Gründern (ja; leider fehlt häufig die Mitgründerin). Diese sind technisch enorm versiert und im Hinblick auf die Technologie dem Stand der Technik deutlich voraus. Zumeist sind es Kommilitonen, also Personen mit einer ähnlichen Ausbildung, in der ihnen beigebracht wurde, immer danach zu suchen, was technisch machbar ist. Vor drei Jahren wäre der Zusatz gefolgt, dass niemand ihnen beigebracht hätte zu überlegen: Was will der Markt bzw. Kunde?, – was für Unternehmer die viel entscheidendere Frage ist.
Doch das hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Begründet durch die hohe Nachfrage nach sehr gut ausgebildeten Fachkräften sind die Gründer:Innen dieser Tage deutlich besser informiert und belesen und gründen aus der Perspektive und nicht aus der Not. Meist geht es den Gründer:Innen darum, ein Problem zu lösen, dass sie in der Industrie erkannt haben und sich mit ihrer Technologie lösen lässt. Sie wollen selbst aktiv gestalten und nicht gelenkt werden. Monetäre Interessen sind derzeit eher selten der primäre Motivator. Wer ein Start-up als Vehikel nutzen möchte, um schnell und einfach reich zu werden, wird rasch erkennen, dass es kein leicht verdientes Geld, sondern sehr viel Arbeit ist und enorme emotionale Tiefen, aber auch Höhen auf ihn warten.
Die ersten beiden Jahre der Gründung
Gründer:Innen stehen in den ersten beiden Jahren vor enormen Herausforderungen. Neben der essenziellen Herausforderung als unbekannte Firma unbekannte Technologien oder Produkte zu verkaufen, gilt es ein Unternehmen aufzubauen. Das bedeutet alle Prozesse und Abläufe neu aufzusetzen und stetig anzupassen, da sich das erdachte Geschäftsmodell auch gerne noch einmal (oder auch mehrmals) ändert.
Gründer:Innen, im high-tech-Bereich (zumeist Ingenieure) setzen sich also nun mit Themen wie Finanzen und Controlling, Personalwesen, Steuern und Zoll, Beschaffung und ERP Systemen, Tools, Software, Inventuren, Zertifizierungen etc. etc. auseinander. Gerade zu Beginn stehen den Gründer:Innen selten ausreichende Ressourcen zur Verfügung: Also gilt es die Ärmel hochzukrempeln und es zuerst selbst zu machen. Gerade der Sales Prozess ist für viele junge Unternehmen eine riesige neue Herausforderung.
Daneben wird am Geschäftsmodell geschliffen und hoffentlich sehr früh mit Kunden, Partnern und Investoren gesprochen, was die für Start-ups wichtigsten Zielgruppen sind.
Kunden
Viele junge Unternehmen wollen zuerst an Großunternehmen verkaufen, weil sie auf der einen Seite viel lernen (Beschaffungsprozesse, Listings, Ordermanagement, etc.), auf der anderen Seite sind diese Unternehmen signalstark und helfen beim Aufbau von Relevanz. Start-ups sind sehr flexibel und gehen gern auf Sonderwünsche ein, um nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Doch leider werden sie auch häufig an der langen Hand gehalten, müssen sehr viele Muster und Prototypen entwickeln, häufig leider sogar auf eigene Kosten.
Investoren
Um Unternehmenswachstum und Risiko zu beherrschen, sind Start-ups immer auf der Suche nach und im Gespräch mit Investoren. Eine „klassische“ Finanzierungsrunde ist auf ca. 18 Monate Liquidität ausgelegt, dabei dauert es ca. 6-9 Monate vom Erstgespräch bis zum Geldeingang. Venture Capital und Mischformen mit dieser Form des Beteiligungskapitals sind essentiell, um jungen Unternehmen das Arbeiten überhaupt zu ermöglichen, bekannt zu werden, Produkte fertig zu entwickeln und verkaufen zu können und kein Geschenk oder Preisgeld!
Wöchentlich gibt es zahlreiche Meldungen wie viel Kapital von welchem Start-up eingeworben wurde. Das sind tolle Nachrichten, jedoch eigentlich nur das Commitment der Investoren, dass diese an Geschäftsmodell, Technologie und Gründer:Innen glauben und dass es jetzt losgehen kann mit dem Unternehmensaufbau. Das sogenannte Funding ist stets an Meilensteine gebunden. Schafft es das Start-up nicht, diese zu erfüllen, geht das Geld schnell aus und die Firma verabschiedet sich vom Markt.
Wachstum und aktive Marktteilhabe durch Investoren- und Kundengespräche sind für jeden Gründer eine große Herausforderung, die neben täglichen Challenges wie neu auftauchenden Marktbegleitern, Personalthemen, Administrativem usw. geführt werden müssen.
Pitchen
Pitchen ist integraler Teil des Start-up-Lifes und Lifestyles, doch auch hier lohnt ein Blick hinter die Kulissen. Nur die wenigsten Start-ups pitchen aus einer Laune oder weil sie als Show-Act gesehen werden wollen, sondern um sich Gehör zu verschaffen, gesehen und bekannt zu werden, ihre Kompetenz zur Schau zu stellen und ihre Marke aufzubauen und nicht zuletzt auch, um geeignetes Personal zu finden.
In einer frühen Phase interessieren sich weder potenzielle Kunden noch potenzielle Investoren für unbekannte Ideen und Teams. Deshalb gilt die Devise: Pitchen, pitchen, pitchen.
Aber anders als es bekannte TV-Formate vermuten lassen, ist es mit einem erfolgreichen Pitch nicht getan. Im ersten Jahr sind es gern einmal über 100.
Ein guter Pitch soll Interesse wecken, lässt auch immer ein paar Fragen offen und ist als Türöffner zu betrachten, um anschließend in Ruhe reden zu können. Viele dieser Pitches führen leider ins Leere, doch nutzen Start-ups diese häufig auch, um ihr Storytelling zu verbessern und Sales Gespräche zu üben.
Doch zum Ende des ersten Jahres beginnt sich der Fokus zu schärfen. Start-ups wägen ab: Wo macht der Pitch Sinn? Wir als HighTech Startbahn empfehlen Start-ups immer bei Einladungen zu fragen, wer da sein wird. Kunden oder Investoren (und welche genau) und nur dann teilzunehmen, wenn Umsatz oder Investment in Aussicht stehen.
Gleiches gilt für Messeteilnahmen. Vor Gründung und im ersten Jahr kann die Teilnahme an Start-up Ständen auf Messen durchaus Sinn machen. Die jungen Unternehmen „spielen die Start-up“ Karte, testen und verproben ihre Sales Strategie und nutzen diese als Lernkurve. Doch spätestens ab dem Punkt, an dem es um Umsätze geht, sollten Start-ups auf den für Sie wichtigen Messen keinen Start-up-Stand in Anspruch nehmen, sondern sich einen eigenen Stand, Ihrer Lösung entsprechend, auf dem echten Parkett suchen – denn Entscheider aus Industrie und Mittelstand nehmen diese Start-up-Bereiche als „nett“ und „interessant“ wahr, aber nicht als Kunde oder Zulieferer auf Augenhöhe.
Sichtbarkeit
Die meisten high-tech Start-ups sind nicht weithin sichtbar, sondern sorgen dafür, dass Investoren und Kunden sie kennen. Es ist wichtig, noch einmal hervorzuheben, dass B2B Geschäftsmodelle peoples-businesses sind und B2C-Geschäftsmodelle eher durch Marketing Kunden adressieren. Verkaufe ich an den Endkunden, ist es wichtig, dass dieser von mir erfährt, da die Umsätze hier aus zahlreichen Verkäufen direkt mit der Privatperson erlöst werden. Im B2B sieht der Sales Prozess anders aus, da hier ein vielschichtiger Vertrieb über Personen in die potenziellen Kundenunternehmen geschehen muss. Marketing ist auch hier wichtig, da Vertrauen aufgebaut werden muss und nicht zuletzt die Attraktivität für neue Mitarbeiter kommuniziert werden sollte.
Da gerade zu Beginn die Ressourcen knapp sind, legt ein high-tech Start-up also den Fokus auf seine Kunden und nicht auf Kampagnien die die breite Öffentlichkeit adressieren.
Scheitern
Häufig wird im Zusammenhang mit Start-ups über die „Kultur des Scheiterns“ gesprochen, welche in den richtigen Kontext gesetzt werden sollte, denn es geht dabei nicht um Konkursverschleppung oder mangelnde Qualität, um Gläubigerprellung oder um‘s Aufgeben.
Ein Start-up ist qua Definition agil, denn keine Planung beruht auf Historie oder Erfahrungswerten, sondern auf Hypothesen. Das Betätigungsfeld eines Gründers ändert sich nach Literatur alle drei Wochen im ersten Jahr. Das heißt, es muss schnell und parallel ausprobiert, getestet, justiert und gelernt werden in nahezu allen Prozessen. In dieser Phase werden Fehler passieren. Wichtig ist hier die Essenz dieser Kultur: schnell zu merken, was nicht funktioniert, um die Fallhöhe gering zu halten und vor allem Fehler nur einmal zu machen.
Fazit: Versteht und unterstützt Start-ups.
Start-up-life ist täglicher Kampf und nicht Mate trinken, Flip-Flops und Tischkicker. Ja, den Kicker gibt es vieler Orten doch wir erleben oft, dass sie nur herumstehen da die jungen Unternehmer:Innen Fokus und Prioritäten setzen.
6-7 Tage-Wochen und 12-16 h Tage sind für Gründerteams nicht unüblich, denn es gilt Kunden, Partnern und Investoren zu beweisen, dass das in sie gesetzte Vertrauen sich lohnt.
Selbst Gründen und früh dabei zu sein ist eine großartige Erfahrung! Mitarbeiter der ersten Stunden stellen schnell fest, dass sie schnell vorankommen, enorm viel lernen, da es keine Silo-Strukturen gibt, man sehr viel rechts und links mitbekommt und seinen eigenen Pfad selbst kreieren kann. Denn Gründerteams verfolgen eine Vision und sind stark intrinsisch motiviert.
Wir hoffen, wir konnten Ihren Blick auf Start-ups etwas weiten und würden sie bitten, Start-ups aktiv und fokussiert zu unterstützen, denn ein qualifiziertes Intro zu potenziellen Kunden aus Ihrem Telefonbuch ist Gold wert.
Falls Sie mehr wissen möchten oder Fragen haben, wenden Sie sich gern an Thomas netzwerk@htsb.eu.
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Luisa Göhler
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