
Michael Wotzka: Warum GLOBALFOUNDRIES auf Predictive Maintenance durch Edge Computing setzt
- On 24. Februar 2021
Interview | mit Michael Wotzka, Facilities Ingenieur | GLOBALFOUNDRIES Dresden
GLOBALFOUNDRIES betreibt in Dresden den größten Fertigungsreinraum Europas, der im 24/7 Modus läuft. Das Unternehmen legt großen Wert auf Predictive Maintenance, um Fertigungsunterbrechungen durch Ausfälle und Wartungen so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Grund sucht das GF Team kontinuierlich nach Verbesserungsmöglichkeiten für die Anlagenüberwachung und Ausfallvorhersage. Die von GF mitentwickelte universelle Sensorplattform von Sensry stellt hierfür eine ideale Basis dar. Die Digital Product Factory des SSH bot dem Unternehmen eine sehr gute Gelegenheit, die erste industrielle Anwendung für diese Plattform im Rahmen eines agilen Projektteams mit mehreren externen Partnern zu entwickeln.
Michael Wotzka, Facilities Ingenieur bei Globalfoundries Dresden, erläutert, warum der Halbleiterhersteller auf Predictive Maintenance zur Überwachung der Produktion setzt. Erste Lösungsansätze für den Einsatz von Edge Computing bei der Überwachung produktionskritischer Reinstwasserventile entwickelte das Unternehmen jüngst in Kooperation mit dem Smart Systems Hub.
Frage 1: Die Halbleiterproduktion arbeitet stets an der Kapazitätsgrenze, um wirtschaftlich zu sein. Aufgrund von Lieferengpässen bei Mikrochips lassen Sie Ihre Produktion sogar auf Volllast laufen. Was bedeutet der Ausfall einer Maschine unter diesen Voraussetzungen konkret?
In einer Fertigung wie unserer, bauen mehr als 1000 einzelne Fertigungsschritte aufeinander auf. Dazu gehören teilweise sensible und vor allem zeitkritische Prozesse. Fällt ein Anlagenteil aus oder ist er aufgrund eines Defektes nicht voll leistungsfähig, kann das zu einer Kettenreaktion im gesamten Fertigungsprozess führen. Die Störung des Ablaufes ist dann nicht nur bis zur Reparatur des defekten Teils spürbar, sondern auch darüber hinaus, weil der Gesamtprozess sorgsam wieder auf seine volle Leistungsfähigkeit hochgefahren werden muss. Ausfälle von Anlagenteilen können große Einschränkungen im Ablauf mit sich bringen und damit auch bedeutende finanzielle Folgen haben – gerade, wenn wir, wie aktuell, auf Volllast fahren.
Frage 2: Ihre Fab gehört zu den am höchsten automatisierten Produktionen überhaupt. Wo liegen trotzdem noch besonders kritische Punkte in der Produktionskette?
Das lässt sich an einem Beispiel am besten erklären: Um die Wafer, auf denen die Chips gefertigt werden, von Chemikalienresten zu befreien, werden sie in speziellen Becken mit Reinstwasser gesäubert. Der Zu- und Ablauf zu diesen Becken wird über Ventile geregelt. Bisher mussten mein Team und ich diese Ventile persönlich und vor Ort auf Schäden überprüfen. Das ist nicht nur sehr aufwändig, sondern erfordert auch viel Erfahrung bei jedem einzelnen Mitarbeiter. Trotz aller Expertise waren Defekte für uns jedoch schwer vorhersagbar.
Frage 3: Warum ist der Ausfall eines Ventils „kritisch“? Kann man nicht einfach Ausfälle durch parallele Prozesse ausgleichen?
Jeder Ausfall führt in der Regel zu negativen Auswirkungen, selbst wenn eine redundante Komponente vorhanden ist. Bei den angesprochenen Regelventilen beispielsweise kann ein Ausfall oder Defekt zu Druckschwankungen im jeweiligen System und damit zu Verletzungen des regelkonformen Betriebes beim Versorgungsmedium führen. Dies wiederum kann Produktionsausfälle und/oder negative Auswirkungen auf das jeweilige Produkt nach sich ziehen.
Frage 4: Warum ist es bis jetzt noch so schwierig, Ausfälle gerade dieser Ventile vorherzusagen?
Bis dato gibt es einfach keine Indikatoren oder Messinstrumente, die eine Zustandsverschlechterung der Teilkomponenten des Ventils anzeigen. Unser Wartungskonzept basiert vornehmlich auf Sichtprüfungen, was für die verlässliche Vorhersage eines Ausfalls aber nicht immer ausreichend ist.
Frage 5: Wie verhindern Sie derzeit Ausfälle?
Wir haben ein umfangreiches und kontinuierliches System zur Risikobewertung entwickelt. Daraus leitet sich in erster Linie eine engmaschige Wartungsroutine ab. Darüber hinaus haben wir ein eigenes Alarmsystem zur verbesserten Vorwarnung etabliert und nutzen hier u.a. Methoden der statistischen Prozesskontrolle. Die dritte Säule der Risikobewertung ist die sogenannte 8D Methodik, um zugrundeliegende Fehler zu identifizieren und zukünftig auszuschließen.
Frage 7: Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen in der Fehlerbehebung?
Generell gibt es in jeder Fertigung standardisierte Handlungsanweisungen für die Fehleranalyse und Behebung. Die Herausforderung sind die Fälle, für die es keine standardisierten Prozesse gibt. Hier müssen wir sehr schnell an der Anlage sein, um die Ursache zu finden. Die Fehleranalyse ist häufig sehr komplex, denn viele Anlagen haben häufig nur simple Alarmmeldungen wie „Druck zu hoch/zu niedrig“, anhand derer sich die Ursache nicht erkennen lässt. Bestimmt Bauteile geben auch Fehlercodes aus, die nicht zum eigentlichen Fehler passen oder haben zu wenig bzw. überhaupt keine Daten, die sich auswerten lassen. Oft müssen verschiedenste Quellen analysiert werden, was umständlich und langwierig ist. Nicht selten kann am Ende nur der Komponentenhersteller selbst die notwendigen Informationen auslesen. Im schlimmsten Falle muss die Komponente dafür komplett ausgebaut werden.
Frage 8: Im Rahmen der Digital Product Factory #2 wurde nun ein Prototyp für die datengestützte und sensorbasierte Vorhersage von Ventilausfällen entwickelt. Wo liegt Ihrer Meinung nach das größte Potential dieses Ansatzes.
Die Vorteile sind mannigfaltig. Wir erfassen nun Audio- und Vibrationsdaten in ausreichender Menge und in Echtzeit. Anhand dieser Signale hat das Team ein KI-Modell entwickelt, das Aussagen über den “Gesundheitszusstand” des Ventils ermöglicht. Dadurch können wir bereits vor dem Ausfall oder Defekt entsprechend reagieren und eine Reparatur sogar planen können. Durch die Darstellung der gewonnenen Daten über ein Dashboard können sowohl die Komponentenhersteller/Anlagenbauer als auch unsere internen Teams mit identischen Informationen arbeiten. Einer der größten Vorteile ist auch, dass die Analyse herstellerunabhängig funktioniert und damit keine Insellösung ist.
Frage 9: Wie funktioniert die angesprochene Lösung genau?
Verschiedene Bestandteile machen die Lösung aus: Zum einen ist das die hochintegrierte Edge-Hardware des Sensorikspezialisten „Sensry“, die für die Gewinnung der Daten verantwortlich ist. Das Besondere an dieser Plattform ist, dass sie auf unserer 22FDX-Technologie basiert und in unserer Dresdner Fab 1 gefertigt wird. Zum anderen wurde von den „Coderittern“, einem Dresdner IoT-Startup, eine hardwarenahe KI entwickelt, die einen ausreichend schlanken Code hat. So werden die Sensordaten durch Machine-Learning-Algorithmen „on Edge“ vorverarbeitet und dann in die Cloud übertragen. Dies, sowie auch die übersichtliche Darstellung in Dashboards, erfolgte mit der Plattform „Cloud Shopfloor Intelligence“ der T-Systems MMS. Eine weitere Herausforderung war die Entscheidung über die geeignete Sensorik. Durch das Team aus branchenübergreifenden Experten und die sehr gute Unterstützung und fachliche Begleitung von Infineon, hatten wir die Möglichkeit, auf die hervorragenden Eigenschaften eines Infineon Mikrofon-Sensors zurückzugreifen. Dieser erfasst akustische Daten, die sich in unserem Kontext optimal auswerten ließen. Ein zusätzlicher Beschleunigungssensor des Fraunhofer Instituts für Elektronische Nanosysteme (ENAS) erfasst Vibrationen. Mit allen diesen Daten wurde der KI Algorithmus entsprechend trainiert. Man sieht also schon, die Lösung ist echte Teamarbeit.
Frage 10: Hochautomatisierte Produktionen wie Ihre leben „Industrie 4.0“ schon seit Jahren. Warum lohnt es sich aber auch für weniger digitalisierte Produktionen, bereits jetzt mit dem Thema Predictive Maintenance auseinanderzusetzen und wie kann ein einfacher Einstieg aussehen?
Die vorausschauende Wartung ist statistisch gesehen der häufigste Weg in die Digitalisierung. Das liegt vor allem daran, dass Stillstandszeiten messbare Verluste bedeuten und sich der ROI, also der Erfolg im Verhältnis zum eingesetzten Kapital, bei der Vermeidung von Ausfällen am leichtesten messen lässt. Ein erster Ansatz für Unternehmen sind so genannte Retrofit-Lösungen, bei denen an bestehenden Maschinendaten durch geeignete Sensorik erfasst und später ausgewertet und genutzt werden. Für Unternehmen, die nicht wissen, wo genau sich Optimierungspotenzial ergibt oder wie ein erster Schritt aussieht, lohnt es sich, geeignete Partner ins Boot zu holen. Die Digital Product Factory – mit einem branchenübergreifenden Expertenteam und dem Versprechen, nach nur 3 Monaten ein Minimum Viable Product (MVP) in der Hand zu haben – war für uns der perfekte Weg zu einer schnellen Lösung.
Vielen Dank!
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Hanna Hübner
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